An Làtha – Der Tag
Schottland, die Highlands sind fast überall großartig. Eine unglaubliche Landschaft. Eine Landschaft, die einen oft genug sprachlos zurücklässt, weil einem irgendwann das Vokabular der Superlative ausgeht. Eine Landschaft, die einen tief berührt, in ihren Bann zieht und nicht mehr loslässt, die einen süchtig macht nach immer mehr.
Wenn man sich am Ende der Reise fragt, was denn nun am Beeindruckendsten war, wo es am Schönsten ist, gibt es darauf keine Antwort. Wir starteten am Loch Lomond, besuchten Mull, Iona und Staffa, fuhren weiter übers Glen Coe, das Great Glen, Glen Affric und auf die Orkneys. Dann die Nord- und Westküste entlang über Skye nach Lewis und Harris. Jedes für sich wäre allein schon einen Urlaub wert. Jedes davon auf seine Art so besonders. Donnie Munro, bis 1997 Leadsänger der schottischen Kultband Runrig hat in einem Interview einmal gesagt, diese Landschaft hätte etwas Spirituelles, etwas das dich über die Grenzen deines Alltagsbewusstseins hinaushebt. Keine Frage, so ist es.
Und doch gibt es einen Tag, der mir von all den begeisternden, wunderbaren Tagen ganz besonders im Gedächtnis geblieben ist, der sich, ich weiß nicht warum, unauslöschlich in mein Gedächtnis gegraben hat.
Wir waren mit der 18:00 Uhr Fähre von St.Margret´s Hope auf Orkney zurück aufs Festland übergesetzt. Es war Samstagabend. Während der letzten Woche hatte sich das Wetter bereits langsam aber stetig verschlechtert und es wurde merklich kühler. Wir hatten uns vorgestellt vielleicht noch bis Durness zu fahren – gut 80 Meilen, also nicht die Welt und auf deutschen Autobahnen eine gute Stunde Fahrt. Auf den Highlandstraßen sieht das allerdings etwas anders aus. Irgendwann kurz nach Thurso, hatten wir dann keine Lust mehr, waren hungrig und müde und suchten uns einen Schlafplatz. Und wir haben es nicht bereut. Wären wir noch in der Dunkelheit bis Durness durchgefahren, hätten wir tatsächlich wohl das Beste verpasst.
Und so starteten wir an einem kühlen Sonntagmorgen mit typisch schottischem Wetter in einen unvergesslichen Tag. Das Wetter war, wie schon erwähnt nicht unbedingt das, was man als sonnenverwöhnter Süddeutscher als gut bezeichnen würde. Dafür spielte es seine Rolle in der dramatischen Inszenierung dieser unvergleichlichen Landschaft umso besser.
Kilometerweit nichts als Felsen, Heidekraut, Moor und Himmel – ab und zu ein Blick aufs Meer. Gigantische Ausblicke auf menschenleeres Land. Permanenter Wechsel von Licht und Schatten, Sonne und Wolken, Nebelschleier, Regenschauer, die am Horizont niedergehen, Sonnenstrahlen, die durch Wolkenungetüme brechen und in Sekundenschnelle wechselnde Bilder, wenn Berge oder Klippen durch ein Loch in den Wolken golden beleuchtet werden und wenige Minuten später bereits wieder im Dunst verschwunden sind. Magische Momente. Bloßer Sonnenschein würde dieser Landschaft keinesfalls gerecht.
Stundenlang sehen wir keine Menschen, keine Tiere, es gibt keine Wege abseits dieser winzigen Straße, die sich in unendlichen Windungen durch die Einsamkeit schlängelt. Nichts als wilde Natur und ab und zu und eher selten ein paar kleine Häuser, die sich zwischen die Hügel ducken, als wollten sie sich vor dem Wind und der Weite verstecken. Für einen kurzen Moment erfasst mich ein Gefühl des Schreckens angesichts dieser Verlassenheit. Außer uns ist an diesem Sonntagmorgen niemand unterwegs.
Das macht etwas mit einem. Ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal irgendwo unterwegs war, wo ich nicht am Horizont schon das nächste Dorf sehen konnte und wo nicht auf der nächsten Bundesstraße oder Autobahn auch am Sonntag die Autos im Sekundentakt vorbeidonnern.
Hier kann die Seele ihre Flügel ausbreiten, nimmt sich den Raum der ihr gebührt.
Ich werde nie vergessen, wie wir am Kyle of Tongue standen und in die Berge schauten. Von hier aus hat man einen atemberaubenden Blick über die Bucht und in die Berge. Man sieht den 826 Meter hohen Ben Hope auf der einen Seite, auf der anderen ein weiteres Massiv dessen Namen meine Karte nicht nennt.
Der Wind blies uns fast weg. Die Wolken zogen in rasender Geschwindigkeit über den Himmel und das Licht änderte sich im Sekundentakt. Regenschauer, mystische Lichtstrahlen, die durch Nebel und Wolkenungetüme brechen. Bilder wie vom Jüngsten Gericht oder der Niederkunft eines Heiligen Geistes auf Erden. Die Dramaturgie eines überirdischen Regisseurs, unser Sonntagsgottesdienst der etwas anderen Art.
Dann auf der anderen Seite des Meeresarms auf einer Anhöhe mehrere kleine Seen. Azurblau zwischen grünem Gras und weißen Felsen. Im Hintergrund steil abfallende Kippen und das Meer. Weiße Wolken, wie große Wattebäusche, die sich im Wasser der Seen spiegeln.
Hinter der nächsten Kurve keine 100 Meter entfernt, öffnet sich dann der Blick auf Loch Eriboll, einen weiteren der vielen Meeresarme die hier tief ins Landesinnere reichen. Eriboll markiert das nordöstliche Ende des Moine Thrust, einer großen geologischen Bruchzone und Überschiebung. Diese führt von hier bis zur Isle of Skye quer durch die Highlands und trennt Kalkstein von Gneis und die europäische von der amerikanischen Kontinentalplatte. Westlich von Loch Eriboll sind wir, zumindest geologisch gesehen, nun tatsächlich eigentlich in Kanada.
Innerhalb von Minuten hat es sich zugezogen und das Tal liegt in dichtem Nebel, so dass man die Hand nicht vor Augen sieht. Ein heftiger Schauer begleitet unseren Weg am Ostufer entlang bis zum Ende des Lochs. Gerade als wir auf die andere Seite wechseln, reißt es wieder auf und ein doppelter Regenbogen spannt sich über das Tal. Dies ist der Auftakt einer regelrechten Regenbogeninflation, die uns die ganze Westküste hinunter bis nach Skye begleiten wird. Trotzdem packe ich jedesmal wieder den Fotoapparat aus.
Als wir das Westufer passiert haben, scheint bereits wieder die Sonne, während wir gemütlich hinter ein paar Schafen herzockeln, die gar nicht daran denken unserem Wagen auszuweichen.
Wer nun glaubt, es könne gar nicht mehr besser werden, hat sich getäuscht. Rund um Durness, dem nordwestlichsten Zipfel der britischen Hauptinsel, das nun nicht mehr weit ist, gibt es mehrere felsige Buchten mit unglaublich schönen Stränden. Orange- bis dunkelrote Felsen, weißer Sand und türkisblaues Wasser. Wären da nicht die etwas kühleren Temperaturen, man hätte fast den Eindruck in der Karibik zu sein.
Fast unberührt und jungfräulich liegt der Ceann na Beinne vor uns. Es ist Ebbe und die einzigen Spuren im Sand sind die feinen Wellenlinien, die das ablaufende Wasser hinterlassen hat. Die dunkelroten, markant gebänderte Felsen bilden einen interessanten Kontrast zum weißen Sand. Einmal wieder ist außer uns niemand unterwegs.
In Durness beziehen wir dann am späten Nachmittag Quartier auf dem spektakulär direkt auf den Klippen gelegenen Campingplatz über der Sango Bay, einem der berühmtesten Strände der Nordküste.