Irisches Tagebuch – Teil 2 – Uragh, das Tor zur Traumzeit
Diesmal machen wir einen kleinen Sprung – von Montag auf Donnerstag – weil es thematisch einfach zusammengehört. Am Donnerstag waren wir nämlich dann dort, wo wir eigentlich am Montag hinwollten.
Donnerstag, 28.5.15
Gleninchiquin die II. – Steinkreis am Uragh und Zauberwald
Heute ist es nun wieder soweit. Nachdem es gestern den ganzen Tag geregnet hat, können wir heute damit rechnen, dass das Wetter einigermaßen halten wird. Das brauchen wir am Uragh, denn hier ist man ganz weit draußen und es gibt es keine Möglichkeit sich unterzustellen oder eine Pause im Tearoom zu machen. Es ist saukalt, ca. 10° und hauptsächlich bewölkt, ab und zu ein Schauer mit einigen sonnigen „Lichtblicken“. Typisch irisches Wetter, bis auf die Temperaturen, die finden sogar die Iren „arktisch“, wie mir eine Marktfrau erzählte. Es ist viel zu kalt für die Jahreszeit und „arktisch“ ist wohl auch fast der richtige Ausdruck, denn der Wind kommt aus Island. Solange es nicht dauerregnet stört uns das aber nicht weiter – der Steinkreis lockt.
Von der Regionalstraße zwischen Kenmare und Lauragh im nördlichen Teil des Ring of Beara biegt man auf der Höhe von Coornagillagh links auf eine kleine Landstraße, eigentlich nicht viel mehr als ein Feldweg, ab. Der Steinkreis und der Park von Gleninchiquin sind hier ausgeschildert. Ein weiterer Abzweig führt nach einiger Zeit zum Parkplatz des Steinkreises zwischen dem Lough Cloonee Upper und dem Lough Inchiquin.
Wir erkunden zuerst ein wenig die Landschaft ringsum. Nach wenigen Metern fällt mir links des Wegs an einem kleinen Bächlein ein fast perfekter Kreis aus Bäumen ins Auge. Ich werde ihn später noch besuchen. Dann erreichen wir einen zauberhaften Birkenhain, den ein paar Sonnenstrahlen gerade in silbrig-grünes Licht tauchen, filigrane Licht- und Schattenspiele auf weichem Gras und bemoosten Steinen. Ein Feenreich. Ich entferne mich von der Gruppe, will in Ruhe meine Antennen ausfahren. Die Atmosphäre nimmt mich sofort gefangen und ein eigener Raum öffnet sich. Ich lasse mich auf einem der Steine nieder und schließe die Augen. Bald bekomme ich nichts mehr mit von dem was um mich herum geschieht und es wäre mir auch völlig egal, ich bin in einer eigenen Welt, einem anderen Universum.
Im Steinkreis von Avebury in Südengland, hatte ich schon einmal vor vielen Jahren Vergleichbares erlebt. Damals spürte ich eine Verbindung über große räumliche Distanzen hinweg zu anderen Steinen und Steinkreisen, einem ganzen Netz – eine Art vorzeitliches, telepathisches Telefon.
Hier spürte ich eine Verbindung über die Zeiten hinweg. Als könne ich auf der Zeitachse reisen, wohin auch immer ich wollte. Ich reiste in die Zeit der Túatha dé Danaan, einem mythischen Volk der irischen Sagenwelt, das Irland vor Urzeiten besiedelte. Von weiteren Ankömmlingen vertrieben, zog es sich in die Anderswelt zurück und wohnt nun in den Feenhügeln unter der Erde. Ich sah die alten Götter und Helden der irischen Mythologie. Besonders fiel mir, eine jugendliche Göttin auf einem Pferd auf, deren Haupt Vögel umkreisten. Eine andere Erscheinungsform der Frühlingsgöttin, die mir schon am Wasserfall begegnet war. War es Rhiannon, eine Göttin aus der walisischen Mythologie?
Rhiannon
Auf einem weißen Pferd, so schnell wie der Wind, reitet die unwahrscheinlich schöne Unterweltsgöttin Rhiannon über die Erde. Begleitet wird sie von Zaubervögel, die Tote aufwecken und Lebende in einen siebenjährigen seligen Schlaf versinken lassen können. Sie bleibt unerreichbar, ihr Pferd kann von niemandem eingeholt werden. Man nimmt an, dass sie ursprünglich auf eine keltische Göttin namens Rigatona ( = Großartige Königin) zurückgeht.
Weitere Legenden bringen Rhiannon auch in Verbindung mit der britischen/bretonischen Fee Viviane, der „Herrin vom See. Sie ist die Hüterin des Sees, aus welchem Artus das Schwert Excalibur erhielt. Sie gilt als Ziehmutter Lancelots und auch als Lehrerin oder Geliebte des Zauberers Merlin.
Möglicherweise in dieser Funktion als „Herrin vom See“ wird Rhiannon auch als Mondgöttin, als Gebieterin der Naturgeister und als Göttin der Magie verehrt. Es heißt, sie könne ihre eigene Gestalt nach Belieben wandeln und alle magischen Verwandlungen können von Rhiannon bewirkt werden. Sie wacht auch über die Träume der Frauen und kann Träume in die Wirklichkeit holen. (Quelle: http://www.artedea.net/rhiannon-gebieterin-der-naturgeister/)
Ich hatte an diesem Ort Zugang zur „Traumzeit“ Irlands, einem mythischen Raum, einer mythischen Zeit und einer uralten Schicht des Bewusstseins, das das Wesen der Landschaft prägt und die Welt immer wieder aufs Neue erschafft. Und ich würde später auch noch weitere Orte dieser Art finden, an denen der Schleier zwischen den Welten dünn ist, an denen man Kontakt bekommen kann zu den energetischen und geistigen Ursprüngen des letztendlich materiell Sichtbaren.
Zum ersten Mal wurde mir klar, das nicht nur die australischen Ureinwohner und der australische Kontinent eine Traumzeit haben. Nur in unseren Breiten ist dieser Zugang zur Erde, zur Landschaft und den geistigen Urgründen der sichtbaren Realität sehr tief verschüttet und überlagert.
„Unter dem Pflaster, ja da liegt der Strand…“ – Nun, das Pflaster scheint in Irland etwas weniger dick und an den alten Plätzen, sofern sie noch intakt sind, gibt es immer noch Tore zum Bewusstsein der Traumzeit. Kein Wunder also, dass die „Anderswelt“, die Welt der Feen und Geister auch heute noch für die Iren präsenter ist, als für den durchschnittlichen Mitteleuropäer.
Nach der Reise in die Tiefen der Traumzeit begann ich mich auf der Achse in die andere Richtung zu bewegen. Es war wie eine Leiter, die man hinauf und hinuntersteigen konnte. Dabei begann ich zu „fliegen“, alles wurde leicht und hell, ich wurde geradezu euphorisch. Ich hatte meinen Körper hinter mir gelassen und es war äußerst angenehm…
Als ich zurückkam von meiner geistigen Reise, sah ich, dass jemand hinter mir stand – es war mein Mann Peter. Äußerst ungewöhnlich. Normalerweise nähern wir uns dem anderen nicht, wenn wir sehen, dass jemand gerade einen Ort erforscht. Aber es war sehr stimmig. Wenn man auf geistige Reisen geht, ist es zuweilen gut einen Begleiter zu haben, der auf den Körper achtgibt und vor äußeren Störungen schützt. Er muss gespürt haben, dass ich sehr weit weg war und hat sich intuitiv als Wächter zu mir gesellt.
Jetzt weiß ich auch, warum wir am ersten Tag nicht hier, sondern am Wasserfall landeten. Dieser Ort braucht Vorbereitung, man sollte sich bereits mit dem Landschaftsraum verbunden und seinen Wesen höflich vorgestellt haben.
Baumkreis
Auf dem Rückweg bleibe ich wieder zurück. Der Birkenhain, durch den wir schon beim Aufstieg kamen verzaubert mich mit seinem silbrigen Licht. Und ich steige zu einem kleinen Bachlauf hinab, an dessen Ufer ein fast perfekter Kreis aus Bäumen steht. Einige große, alte Birken haben sich wie zum Tanz eingefunden. In der Mitte ein kleiner runder Stein. Ein Platz der Naturwesen, angenehm und friedlich.
Uragh Nord
Schließlich erreichen wir den Uragh Nord. Es ist zweifellos einer der schönsten Steinkreise Irlands. Seine Lage auf der Landbrücke zwischen den beiden Seen ist einzigartig, magisch der Blick über den See bis zum Wasserfall am Talschluss. Die Menschen, die diese Steinmonumente errichteten, hatten eindeutig einen Sinn für Dramatik. Er ist klein, nur 2,40 m im Durchmesser, besteht aus 5 Steinen, wie es für die Region typisch ist, und einem großen Monolithen von ca. 3 Metern Höhe.
Der Wind bläst stark und die Stelle ist ungeschützt, man ist den Elementen und den Kräften der Natur ausgesetzt. Ich stelle mich in den Windschatten des großen Steins und versuche mich einzufühlen. Doch ich merke, dass meine Kapazitäten für heute fast erschöpft sind. Die Reise vorhin war intensiv und erfüllt mich immer noch. Ich kann und will mich gar nicht frei machen für ein weiteres Erlebnis. Die Atmosphäre ist anders hier. Für mich eher männlich, soviel bekomme ich noch mit, aber letztendlich weiß ich, dass ich hier noch einmal herkommen muss und will, um dann tiefer einzusteigen. Das wird mir heute nicht mehr gelingen. So mache ich einfach noch ein paar schöne Bilder von der beeindruckenden Szenerie, bevor wir aufbrechen zum Zauberwald.
Der Zauberwald – Uragh Wood Nature Reserve
An den Ufern des Lough Inchiquin liegt ein kleiner Überrest alten Eichenwalds. Dieser ist heute selten in Irland, da die meisten Waldgebiete unter Cromwell abgeholzt wurden und steht unter Naturschutz. Man sollte ihn also nur vorsichtig und mit dem nötigen Respekt betreten. Der Wald besteht zu größten Teil aus Traubeneiche mit einigen Birken, Weiden und Eschen. Es gibt auch einige ungewöhnliche Spezies, wie den Erdbeerbaum, die Vogelnestorchidee, das St.Patricks Kraut und seltene Flechten.
Uragh ist irisch und bedeutet „Land der Eiben“. Vermutlich hat es hier sogar einmal einen Eibenwald gegeben, so wie er sich in einem Teil des Killarney National Park erhalten hat.
Der Wald ist wild und unberührt, anders als unsere festlandeuropäischen Forste. Es führen keinerlei Wege hindurch. Der Boden ist von Farn und feinem Gras bedeckt, die Bäume bizarre, gewundene Gesellen, die aussehen als würden sie tanzen. Die Stämme umarmt, manchmal fast erdrückt, von uralten, knorrigen Efeuarmen, oder bedeckt von dicken Moospolstern. Genauso die Felsen. Von ferne sehen sie aus wie weiche runde Kissen für die Naturgeister. Ab und zu wagt sich die Sonne hervor und spielt in den rauschende Blättern, zeichnet feine Muster von Licht und Schatten. Wahrlich ein Zauberwald. Man würde sich nicht wundern plötzlich einem Gnom, einem Faun oder Zauberer mit spitzem Hut gegenüberzustehen.
Doch die Zeit ist fortgeschritten und wir sind bereits satt von den Erlebnissen eines langen und ausgefüllten Tages. So kehren wir um, in dem Wissen, das man hier noch einige Tage verbringen könnte – das nächste Mal in Irland, das es für mich sicher geben wird.
Gleninchiquin
Der Name des Tals beschreibt vor allem die landschaftlichen Merkmale.
Glen bedeutet Tal oder Schlucht. „Inchi“ kommt wahrscheinlich von „inis“ = Insel. „Chuin“ oder „chuim“, der Genitiv von „cum“ bezeichnet eine Senke oder einen Talkessel, ein bewaldetes oder mit Dickicht bewachsenes V-förmiges Tal mit einem Fluss, das auf drei Seiten von Bergen umgeben ist. Möglicherweise lag der Platz, auf dem der nördliche Steinkreis steht zu gewissen Zeiten sogar auf einer Halbinsel.
Irisches Tagebuch – Teil 1 – Gleninchiquin
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