Irisches Tagebuch – Teil 6 – Die Kraft der Elemente auf Sheep´s Head und Heilige Quellen am Lough Hyne
Sonntag, 30.5.15
Die Mizen-Halbinsel (irisch Carn Uí Néid, englisch Mizen Head) ist die südlichste der vier Halbinseln im Südwesten Irlands. Sie hat die Form zweier Finger, von denen der nördliche „Sheep’s Head“ (oder Muntervary, irisch Rinn Mhuintir Bháire) genannt wird und zu den abgeschiedensten Regionen der gesamten Insel gehört. Hier gibt es nur wenige Häuser und Menschen, dafür umso mehr wilde Natur.
Nachdem es am Samstag wieder fast unaufhörlich regnete und erst gegen Abend besser wurde, wussten wir lange nicht, ob die geplante Wanderung nach Sheep´s Head stattfinden könnte. Denn hierfür braucht man wirklich gutes Wetter. Am besten einen schönen warmen Sommertag mit viel Sonne und wenig Wind. Sonne hatten wir zwar meistens, aber es war auch etwas windig und was das auf Sheep´s Head bedeutet, sollten wir dann schnell mitbekommen, denn hier ist man den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert. Je weiter man sich auf die Spitze der Halbinsel zubewegt, desto mehr wird aus einem lauen Lüftchen ein Sturm und so hatten wir an diesem Tag ausgiebig Gelegenheit uns mit den Windwesen und dem Element Luft in all seinen Facetten auseinanderzusetzen. Dazu kam, dass immer wieder Wolken aufzogen und (gottseidank nur kurze) Schauer niedergingen.
In Coomacullen etwa 1 km vor der Spitze der Landzunge endet die Straße. Von dort kann man eine schöne Wanderung auf dem Sheep´s Head Way machen, der die gesamte Insel in Küstennähe umrundet.
Schon als wir ausstiegen blies es kräftig und je weiter wir uns auf schmalen Bergpfaden der Spitze näherten desto heftiger wurde es. Wir liefen gegen den Wind und obwohl ich gut eingepackt war und nicht fror, merkte ich bald wie sehr dieser beständige Reiz begann an meinen Nerven zu zehren. Ich wollte nur noch, dass es aufhört. Wir sollten ca. 5-6 Stunden unterwegs sein und ich dachte nur: „Wenn das hier jetzt die ganze Zeit so weiter geht, das halte ich nicht aus“. Beständigen starken Wind, wie es ihn auch an der Nordseeküste gibt, mochte ich seit meiner Kindheit nicht. Meine Großeltern lebten dort und jede Ostern musste ich mich mit stundenlangen ungeliebten Strand- und Deichspaziergängen quälen.
Der Wanderweg verläuft auf der Höhe bis fast zur Spitze und wendet sich dann wieder landeinwärts um an der Nordküste entlang zurückzuführen. Von der Kehre aus, kann man noch hinuntersteigen bis zum Meer, was mein Mann auch versuchte, aber dann umkehren musste, weil der Wind zu stark wurde. Es war einfach zu gefährlich. An einem schönen warmen Sommertag ohne allzu viel Wind ist es sicher traumhaft hier eine Weile zu verweilen und auf den unendlichen Ozean zu schauen.
Heute aber war es eine Zerreisprobe für mich. Eine echte Herausforderung und ich begann meinem Unbehagen nachzuspüren. Eine Erfahrung ist eine Erfahrung. Ob gut oder schlecht, sie hält immer ein Geschenk für einen bereit, wenn man sich die Mühe macht hinzuschauen. Um Missverständnissen vorzubeugen: ich liebe den Wind immer noch nicht und werde ihn wahrscheinlich auch nie lieben, aber durch die Erfahrung auf Sheep´s Head weiß ich jetzt warum das so ist. In der Ayurvedischen und Traditionellen Chinesischen Medizin spricht man von Wind-Krankheiten und dieser Begriff, der für mich immer sehr abstrakt war, hat eine ganz neue und konkrete Bedeutung gewonnen. Der Wind kann wirklich krank machen und mich würde er auch krank machen, wenn ich mich ihm länger aussetzen würde. Nicht weil es einem kalt wird – es ist ein energetisches Phänomen. Beständiger Wind überreizt das Nervensystem und zehrt aus. Wind trocknet aus. Der Wind wühlt das Wasser der Gefühle auf und facht das Feuer an – wenn er zu stark ist, bläst er die Lebensflamme aus.
Für meine Konstitution ist er das reinste Gift. Als hochsensitiver Mensch ist mein Nervensystem sowieso schnell überreizt, ayurvedisch gesprochen bin ich Vata-Pitta, sowieso viel zu trocken und mein Vata schießt leicht in die Höhe. Alles was das zusätzlich übermäßig stimuliert kann ich also nicht so gut vertragen. Starker Wind zehrt extrem an meinen Kräften. Ganz anders ein Pitta-Kapha Typ. Er ist warm und feucht und braucht den Wind als Ausgleich.
Nach der Kehre hatten wir dann den Wind im Rücken und folgen dem Weg in ein kleines Tal hinunter. Hier war es besser. An einer fast windstillen Stelle rasteten wir und hatten einen wunderschönen Ausblick aufs Meer, sowie die Beara-Halbinsel. Die Klippen stürzen dort fast senkrecht etwa 50 Meter in die Tiefe.
Die Landschaft ist karg und felsig. Hier wächst fast nichts mehr außer Gras, Heidekraut und an geschützten Stellen etwas Farn. Der ständige Wind fegt alles hinweg. Schön sind die Weite des Himmels, des Meeres und die Einsamkeit. Außer uns war niemand unterwegs. Sonne und Wolken zauberten Licht und Schattenspiele auf die kahlen Bergrücken, schafften fast surreale Stimmungen. Der Ozean brandet in einem sich ewig wiederholenden Rhythmus gegen die Klippen.
Ich ging alleine. Schweigend für sich zu sein, ist der Landschaft hier angemessen. Während man Stunden durch die sich kaum verändernden Schattierungen von Grün, Braun und Grau wandert, verliert man das Gefühl für die Zeit und erhascht einen Zipfel der Ewigkeit.
Montag, 31.5.15
Heilige Quellen
Heute trennen wir uns von der Gruppe. Bevor wir morgen die Gegend verlassen, wollen wir noch ein typisches irisches Phänomen sehen: die heiligen Quellen. Zwei davon gibt es am Lough Hyne südlich von Skibbereen. Das Wetter ist allerdings schlecht, sogar sehr schlecht. Sturm und Dauerregen sind angesagt. Eigentlich ein Tag um zuhause zu bleiben bei Tee und Scones. Doch die Zeit haben wir nicht. Zwei Wochen sind sowieso schon vieeel zu kurz! Also machen wir uns trotzdem auf den Weg.
Von der Straße zwischen Skibbereen und Baltimore zweigen wir auf eine kleine Landstraße ab. Nach einigen Kilometern wird es abenteuerlich. Der Weg führt am Waldrand entlang ist nicht mehr asphaltiert und links und rechts von Büschen und Bäumen flankiert, so dass wir mit unserem VW-Bus kaum noch durchkommen. Sind wir richtig? Ist das überhaupt noch eine Straße. Ja ist es, denn irgendwann kommen wir tatsächlich am Lough Hyne an. Inzwischen gießt es wie aus Kübeln und je näher wir dem Meer gekommen sind, desto stärker wurde auch wieder der Wind. Sollen wir wirklich da raus? Meine Regenhose habe ich in Deutschland vergessen und meine Regenjacke hängt gut im Schrank im Cottage. Aber wir sind über eine Stunde gefahren und wollen so kurz vor dem Ziel jetzt nicht aufgeben. Also muss es die Daunenjacke und der Schirm tun, obwohl der bei dem Wind kaum zu gebrauchen ist. Wir gehen ein kurzes Stück durch den Wald bis zur ersten Quelle. Typisch irisch ist sie geschmückt mit Photos, Kerzen, Bändern, Steinchen und allerhand anderen Gaben. Weiter oben am Hügel liegt eine zweite. Unter einem großen Weißdorn, ist hier eine kleine Grotte aus Stein gemauert. Eine Marienstatue schmückt sie, außerdem wieder Kerzen, Steinchen, Bänder die im Baum hängen. Die untere Quelle sagt mir nicht viel, aber hier oben bin ich fasziniert, der Ort ist zauberhaft.
Hier finde ich sie wieder die alte Göttin Irlands, die mir am Wasserfall und am Uragh bereits begegnet ist. Ich spüre auch, dass hier ebenfalls ein Tor ist zur Traumzeit, ein Ort an dem man Zugang finden kann zu anderen Ebenen des Bewusstseins. Aber wir sind bereits bis auf die Haut durchnässt und so dauert der Besuch nicht lange und wir kehren zum Auto zurück. Ich beschließe aber, dass ich unbedingt noch die heilige Quelle der Brigid in Kildare besuchen werde.
Schön wäre es gewesen noch den bewaldeten Hügel, an dessen Fuss die Quellen liegen zu erwandern. Aber es ist einfach zu nass und zu windig. Nachdem uns bei einer Wanderung im Sturm in Deutschland Anfang Mai die Bäume quasi vor die Füsse fielen, sind wir diesbezüglich etwas vorsichtiger geworden…
So endet diese Tag mal wieder im Teehaus bei Tee und Scones und im Woolshop, in der Hoffnung auf besseres Wetter in den nächsten Tagen.
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