Irisches Tagebuch – Teil 8 – Wohnsitz der Feen: Brú na Bóinne, Newgrange und Knowth

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Mittwoch, 2.6.15

Brú na Bóinne, das irische Tal der Könige

Brú na Bóinne bedeutet Palast oder Wohnstätte der Boinne. Unzählige megalithische Monumente befinden sich hier in einer Biegung des Flusses Boyne. Die größten und bedeutendsten davon sind Knowth, Dowth und Newgrange. Hier, und besonders im Hügel von Knowth, findet sich die größte Ansammlung megalithischer Kunst in Westeuropa, vielleicht weltweit.

Das Internet hatte mir verraten, dass man zeitig am Morgen in Newgrange sein sollte um überhaupt einen Platz bei einer der Führungen zu bekommen. So fuhren wir am Abend noch dorthin auf der Suche nach einem Schlafplatz in der Nähe, denn das Besucherzentrum würde um 9.00 Uhr öffnen und wir wollten pünktlich dort sein. Tatsächlich fanden wir ganz in der Nähe einen Parkplatz am Ufer der Boyne. Wie ein silbernes Band schlängelt sich der Fluss magisch glitzernd im Sonnenuntergang durch eine sanft gewellte Hecken und Weidelandschaft. Fast gegenüber am anderen Ufer konnte man sogar die auffällige mit weißem Quarzgestein verkleidete Fassade von Newgrange ausmachen. Perfekt, dachten wir, besser konnte es kaum kommen, nachdem wir schon Sorge gehabt hatten keinen vernünftigen Schlafplatz zu finden. Zwei Wagen von Anglern standen noch da und so warteten wir damit uns mit unserem Bus häuslich einzurichten, bis sie weggefahren sein würden und machten uns zuerst etwas zu essen. Als es dämmerte kamen sie dann auch. Bevor sie wegfuhren, warnten sie uns allerdings davor hier zu übernachten. Schon kurz nachdem wir angekommen waren, waren zwei Wagen, mit jungen Männern besetzt, auf den Parkplatz gefahren, hatten uns gemustert und fuhren dann wieder davon. Wir dachten uns nicht viel dabei. Die beiden netten Angler klärten uns allerdings auf, dass die Jungs in der Gegend bekannt seien und gefährlich wären, sie würden Autos knacken und wir sollten uns doch lieber einen Standplatz suchen, der weniger einsam sei. Auf die Idee, dass es irgendwo in Irland gefährlich für uns sein könnte, waren wir bisher nicht gekommen. Wir hatten wir die Iren nur als unglaublich freundlich, gesellig und hilfsbereit erlebt. Sie hatten zum Glück noch einen Tip für uns, wo wir stehen könnten. Ein Hostel auch nicht weit vom Besucherzentrum stellt Wohnmobilen seinen Parkplatz für eine geringe Gebühr zur Verfügung. Auf diese Weise hatten wir dann sogar die Möglichkeit eine Toilette zu benutzen, uns zu waschen und ein Guiness am Abend war auch noch drin.

Am nächsten Morgen standen wir dann pünktlich kurz vor Neun vor dem Besucherzentrum, das wirklich sehr schön gestaltet ist. Konnte man früher direkt zu den Monumenten fahren, wird nun von hier aus alles zentral organisiert. Am Eingang bekommt man Klebepunkte, die zeigen welches der Monumente man besichtigen will und wann man sich dazu an einer zentralen Bushaltestelle einzufinden hat. Es war nicht allzu viel los, da die Hauptsaison noch nicht begonnen hatte und so saßen wir bereits nach einer halben Stunde erwartungsvoll mit 20 anderen Besuchern in unserem Minibus auf dem Weg nach Knowth. Wir hatten außerdem zusätzlich das Glück, dass an diesem Tag, warum auch immer, „free of charge“ war, das heißt wir mussten nichts bezahlen.

Vom Besucherzentrum fährt man ca. 10 Minuten bis zu den Monumenten. Dort steigt man aus dem Bus und trifft dann eine Führerin oder einen Führer.

Ich war so aufgeregt wie ein kleines Kind an Weihnachten vor der Bescherung!

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Knowth (Cnobha)

Es gibt zwei Geschichten, wie Cnobha zu seinem Namen kam. Die erste leitet es von Cnoc Bua oder Bui, Hügel der Bua oder Bui ab. Bui ist ein anderer Name der Cailleach Beara. Sie ist die Erdgöttin in ihrer Form als alte Frau. Eine andere Geschichte erzählt, dass die Geliebte von Oengus von einem Fest entführt wurde an dem sie teilnahm. Der Rest der Festgesellschaft rannte hinter ihr her bis Cnobga und ihre Freunde erhoben ein lautes Wehklagen und labten sich dort an dem einzigen Lebensmittel, das sie dort finden konnten, der Haselnuss (irisch: cnó = Nuss) .

Knowth ist das größere der beiden und eines der größten Monumente dieser Art in Irland überhaupt. Knowth ist auch vermutlich älter als Newgrange, das auf ca. 3.150 v. Chr. datiert wird. Der ovale Haupthügel hat einen Durchmesser von 80 m bzw. 95 m (275 m Umfang) und ist fast 10 m hoch. Er wird eingefasst von 127 großen Felsblöcken, die teilweise mit eingeritzten Mustern verziert sind.

In Knowth empfängt uns seine resolute Dame und allein schon die Größe des Haupthügels ist beeindruckend. Wir umkreisen ihn und betrachten die vielen verzierten Steine. Im Inneren gibt es auf der Ostseite eine nachträglich eingebaute Kammer mit Schautafeln. Der eigentlichen Gang ist leider mit einem Gitter versperrt und man kann ihn nicht betreten. Doch auch der Blick, in den von Lampen erleuchteten Gang, ist beeindruckend. Er ist mit seiner Länge von ca. 40 Metern, der längste bekannte Gang in einem Ganggrab. Man hat wirklich den Eindruck, dass er tief ins Herz der Erde führt und ich versuche mir zumindest vorzustellen, wie es sein muss dort hindurch bis in die hinterste Kammer zu gehen. Es hat etwas sehr Anziehendes für mich, wie nach Hause kommen, beschützt und geborgen. Später, als alle anderen schon wieder draußen sind, komme ich nochmal zurück, aber es hilft ja nichts, das Gitter ist und bleibt verschlossen und verwehrt mir den Zugang zum „Herz der Erde“.

Im Gegensatz zu Newgrange, kann man in Knowth den Hügel auch besteigen. Von dort hat man einen wunderschönen Blick über die Landschaft und der heilige Fluss der Göttin Boinne schlängelt sich verführerisch glitzernd zwischen grünen Weiden dahin. Auch dieser Fluss zieht mich magisch an – irgendwie scheint er ein silbriges Licht zu verströmen, das ich sonst noch bei keinem Fluss so gesehen habe.

Meine Eindruck hierzu mag sehr subjektiv sein, keine Ahnung, ob jemand anderer das genauso sehen würde, denn es scheint mir hier alles so seltsam bekannt, als wäre ich schon einmal hier gewesen. In mir fühlt es sich an wie vor 5000 Jahren. Ich kann mich gut in die Menschen von damals hineinversetzen. Die Felder sind fruchtbar, die Zeiten friedlich, eine gute Gegend, die das Leben für damalige Verhältnisse relativ einfach macht und die Raum lässt für das Entstehen dieser großartigen Bauwerke.

Schließlich steigen wir wieder in einen Bus und es geht weiter nach Newgrange. Unser Führer dort macht aus der Führung ein echtes Event, witzig, humorvoll und mit Leidenschaft.

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Newgrange (Sí an Bhrú)

In der irischen Mythologie gelten die Monumente von Brug na Bóinne als Feenhügel (Sídh). Das mythische, halbgöttliche Volk der De Danaan, soll sich in diese zurückgezogen haben, nachdem die keltischen Einwanderer die Macht über Irland übernahmen. Die De Danaan sollen göttlichen Ursprungs und „vom Himmel“ gekommen sein. Das Wort „Sídh“ bedeutet auch „Stern“ und die Kultur, die die großen megalithischen Monumente gebaut hat, wird auch als „das Volk von den Sternen“ bezeichnet.

Der Gang ins Innere des Hügels ist ca. 19 Meter lang und weist nach Südosten, in Richtung des Sonnenaufgangs zur Wintersonnwende. Er endet in einer kreuzförmigen Kammer mit drei Nischen. Das Deckengewölbe der Kammer ist 6 Meter hoch und lässt nach 5000 Jahren immer noch kein Wasser ein!

Schon das Portal in Newgrange mit dem berühmten Schwellenstein ist grandios. Und diesmal dürfen wir auch hinein, durch den Gang, bis in die Kammer. Dann kommt der große Moment: das Licht wird gelöscht und wir stehen in vollkommener Dunkelheit. Eine Lampe, die den Gang herauf scheint, simuliert dann den Lichtstrahl wie er am 21.Dezember durch eine Öffnung oberhalb des Portals bis an die Rückwand der Kammer fallen würde. Unser Führer kommt nun ins Schwärmen und beschreibt uns, wie das im Original ablaufen würde. Wie um 8:58 Uhr ein kleines Dreieck am Beginn des Ganges auftaucht, langsam zu einem schmalen Strahl anwächst und den Gang linksseitig „hinaufkriecht“, bis es die Kammer erreicht hat. Wie die Farbe des Lichts sich verändert von silbrig zu orangerot und wie durch den Lichtstrahl das Spiralmotiv an der Rückwand der mittleren Kammer scheinbar zum Leben erwacht. Das ist wirklich ganz großes Kino und mir laufen plötzlich die Tränen. Mist, denke ich nur, bis das Licht angeht, sollte ich mich besser wieder gefangen haben…

Es ist bewegend. Welch eine Kraft steckt noch heute in dieser archetypischen Symbolik, die Baumeister und Wissende hier auf eine steinzeitliche Kinoleinwand gebracht haben: Die Sonne an ihrem tiefsten Punkt, zeigt am Tag ihrer geringsten Kraft ihr höchstes Potential, das sich in den folgenden Monaten voll entfalten wird und erweckt das Innere der Erde zu neuem Leben, lässt das ihr innewohnende Potential sichtbar werden. Das Schauspiel ist der Garant für den Sieg des Lichts über die Dunkelheit, des Lebens über den Tod und vollzieht sich jedes Jahr aufs Neue: die Hochzeit von Himmel und Erde, die Befruchtung von Mutter Erde, die alles in der Natur aufs Neue wachsen und gedeihen lassen wird.

Ich weiß nicht, wer das damals hier erleben durfte, ob es überhaupt ein lebender Mensch erleben durfte oder ob es allein für die Ahnen und die Götter war…

Der Schwellenstein

Etwas besonderes in Newgrange ist auch der Schwellenstein mit seinen Spiralmustern. Vor allem die Dreifachspirale auf der linken Seite ist außergewöhnlich und zum Symbol und Logo für die gesamte Anlage von Brú na Bóinne geworden. In ihr steckt die heilige Dreiheit von Werden, Bestehen und Vergehen, von Leben, Tod und Wiedergeburt. Fährt man die Spiralen von Innen nach Außen nach drehen die auf der linken Seite des Schwellensteins links herum, die auf der rechten Seite rechts. Zufall? Wahrscheinlich nicht. Linksdrehend bedeutet Auflösung, rechtsdrehend Erschaffen. Etwa 15 Meter vor der Schwelle des Eingangs steht ein weiterer großer Stein. Sein Schattenwurf zum Sonnenaufgang der Wintersonnwende lässt die Spiralen auf der linken Seite im Schatten verschwinden, die auf der rechten Seite im ersten Licht erstrahlen. Auch hier wiederholt sich das Motiv der Neuerschaffung der Welt durch die Strahlen der Sonne am Sonnwendmorgen.

Schwelle zur Traumzeit

Knowth und Newgrange haben mich, jedes auf seine Art, wirklich zutiefst beeindruckt. Sie sprechen eine archaische Schicht des Bewusstseins in mir an, die immer noch in uns lebendig ist, auch wenn wir im Alltag wenig davon mitbekommen. Es ist ein visionäres, bildhaftes Erleben, weniger logisch rational, als intuitiv und ganzheitlich ausgerichtet, mythisch und mystisch. Etwas wird in mir wach, das schwer zu erklären und in Worte zu fassen ist. Auch hier ein Zugang zum Traumzeitbewusstsein, das mit dem Verstand allein nicht wirklich zu fassen ist, sich der normalen Logik entzieht aber seinen Widerhall in den alten Mythen Irlands findet.

Doch diese mythische Ebene des Bewusstseins ist in unserer heutigen Welt sehr ins Hintertreffen geraten. Und hat es denn heute noch seinen Wert und seine Berechtigung? Brauchen wir das noch in einer Welt die auf Effizienz und Gewinnmaximierung ausgerichtet ist?

Neuere psychologische Erkenntnisse zeigen, dass wir ohne die archaischen, tieferen Ebenen unseres Bewusstseins jenseits der Logik nicht in der Lage sind vernünftige Entscheidungen für unser Leben zu treffen – und vor allem keine Entscheidungen mit denen wir wirklich innerlich übereinstimmen und die uns letztendlich glücklich machen.

Der Kontakt mit den tieferen Schichten unseres Bewusstseins, unserer visionären, bildhaften Erlebniswelt kann uns ungeahnte Quellen der Kreativität und des Wohlbefindenseröffnen. Dann, wenn wir uns dem öffnen und angemessen Raum geben, die eingefahrenen Muster unseres Verstandes einmal kurz beiseite stellen um etwas mehr die Ganzheit ins Blickfeld zu rücken und in unsere Lebensplanung mit einzubeziehen.

Im Bewusstsein der Menschen der Steinzeit waren Leben und Tod, Diesseits und Anderswelt noch nicht so drastisch voneinander geschieden, wie wir das heute erleben. Das Leben war ein Kontinuum, das von der sichtbaren auf die unsichtbare Seite und wieder zurück schwang, in einem ewig wiederkehrenden Rhythmus. Die meisten der Symbole auf den Steinen sind Ausdruck diesen Erlebens. Davon können wir lernen und profitieren. Unsere Welt dagegen ist in unvereinbare Polaritäten zerfallen und wir müssen lange Schulungswege gehen um zum Bewusstsein der ursprünglichen Einheit zurückzufinden.

Diese Kunst auf den Steinen ist komplett abstrakt. Nirgendwo finden sich Szenen des täglichen Lebens und es gibt Forscher, die in Erwägung ziehen, dass die Muster das Ergebnis visionärer Erfahrungen und veränderter Bewusstseinszustände waren, die rituell erzeugt wurden oder möglicherweise auch auf den Gebrauch von rituell eingenommenen halluzinogenen Stoffen zurückgehen.

Dass die Muster mehr Magie, als darstellende Kunst sein müssen, sieht man auch daran, dass sie zum Teil auf der nicht sichtbaren Seite der Steine angebracht sind und erst bei der Restauration entdeckt wurden.

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