Chene à Guillotin, Bretagne, August 2008
Am nördlichen Rand von Brocéliande in der Bretagne steht am Rande eines kleinen Weilers, auf einer Wiese eine riesige alte Eiche. Innen ist sie komplett hohl, so dass man darin stehen und sitzen kann. Mich zog es sofort hinein. Von Innen sah man durch die schon etwas schüttere Krone den Himmel. Ich setzte mich und ging in die Stille. Dort kam ich sehr schnell in Kontakt mit der Wesenheit des Baumes.
Was sie mir mitteilte, oder für was sie mein Bewusstsein öffnete, war eigentlich jenseits von Worten und berührte mich tief. Ich mache jetzt mal den Versuch, es in Worte zu fassen.
Sie war sich bewusst, dass ihre Existenz in dieser Form sich langsam dem Ende näherte. Aber für sie hatte der Tod nicht dieselbe Bedeutung, wie für uns. Eigentlich hatte er gar keine Bedeutung. Hier im Herzen dieses Baums, habe ich die größte Lektion über den Tod erhalten, die ich je bekommen habe. Denn nur das begrenzte „Ich“, das Bewusstsein einer vom Ganzen getrennten Existenz kann sterben. Für diese Eiche gab es folglich keinen Tod. Das Konzept, das sie mir vermittelte war viel eher, das der Verbundenheit allen Lebens, jenseits des individuellen Bewußtseins und der Form.
Vielleicht konnte sie durch mich in diesem Moment wahrnehmen, wie schwer sich unser, im Vergleich zur Pflanzen und Tierwelt, individualisiertes, menschliche Bewusstsein damit tut, die Vergänglichkeit der Form zu akzeptieren. Die Entwicklung eines individuellen Selbst hat ihren Preis – die Angst, dieses am Ende des Lebens wieder zu verlieren. Das ist die wahre Vertreibung aus dem Paradies.
Und so ließ sie mich teilhaben an ihrem Erleben:
„Ich bin doch ein Teil allen Lebens, das mich hier umgibt, daher bedeutet der Tod dieser Form nichts. Mein Bewusstsein umfasst mehr als diese Form, ich bin Teil des Landschaftsraums und allen pflanzlichen Lebens hier. Die Form kommt und geht, das ist der Lauf der Dinge und weder gut noch schlecht. Das Leben bleibt, es ist ewig.“
Eine Binsenweisheit? Alle, die wir uns mit esoterischen Themen beschäftigen hören das immer wieder in Seminaren, lesen es in den Büchern. Aber verstehen wir es wirklich? Erleben wir es als Wahrheit mit unserem gesamten Sein?
Meist sind es nur ganz besondere Momente, so wie hier im Herzen dieses Baums, in denen man diese Wahrheit nicht nur mit dem Kopf, sondern mit seinem ganzen Wesen begreift. Oder vielleicht auch, wo sie einen ergreift, durch und durch.
In diesem Moment wurde mir auch schmerzlich bewusst, wie sehr ich immer noch an diesem getrennten begrenzten Ich hänge, danach greife, versuche es festzuhalten. Wie die Konzepte von diesem Ich sich selbst erhalten und verhindern voll und ganz in dieses Leben einzutauchen und Teil davon zu sein – einfach da zu sein. Ich spürte auch diese Sehnsucht, die mich immer schon auf die Suche führte. Die Sehnsucht nach diesem Zustand, nach einem Bewusstsein jenseits der Begrenztheit der Form, der hier so ganz selbstverständlich einfach da war in diesem Baum.
Die Tränen flossen, es war wie eine Katharsis, eine Reinigung. Dabei war ich glücklich, aufgehoben, befreit. Es war wunderschön. Dann dankte ich für diese Erfahrung und kletterte durch den engen Spalt wieder nach Draußen.